In der NZZ Neue Zürcher Zeitung am Sonntag gibt Michael Bär ein Einblick in die Entstehungsgeschichte der MBaer Merchant Bank. Aus Frust über die Finanzwelt gründete er mit 55 eine eigene Bank, die sich dem Zeitgeist widersetzt – und damit einen Nerv trifft. Im Interview mit NZZ-Wirtschaftschef Guido Schätti sagt er: «Wir sind so erfolgreich wie nie zuvor und haben erst noch Spass dabei».
Der letzte Bär im Schweizer Bankengeschäft
Aus Frust über die Finanzwelt gründete Mike Bär mit 55 eine eigene Bank. Sein Institut widersetzt sich dem Zeitgeist – und trifft damit einen Nerv.
Es war ein Nachtessen vor sieben Jahren. Einmal mehr ging es um die Banken. Dass die obersten 20 Prozent absahnen, während die übrigen Angestellten und die Aktionäre leer ausgehen. Dass alle nur ein Ziel verfolgen: die Jagd auf die Vermögen der Reichen und Superreichen, während die Unterstützung der Realwirtschaft auf der Strecke bleibt.
Das ist das Thema, bei dem sich Mike Bär, eigentlich ein sanfter Mensch, noch heute in Rage reden kann. Der Spross der berühmtesten Schweizer Bankendynastie beliess es nicht beim Reden nach jenem Nachtessen. Er beschloss zu handeln, es besser zu machen. Mit 55 wurde Bär zum Firmengründer.
Bei der einstigen Familienbank Julius Bär war er schon Jahre zuvor ausgestiegen. Der Bären-Clan war immer grösser und zersplitterter geworden, die Distanz zur Firma wuchs, der Nachwuchs an Bankern wurde dünner. 2005 folgte die Trennung, für die Familie, aber auch für den damaligen Private-Banking-Chef Mike Bär. «Ich habe mir überlegt, was ich im Leben noch erreichen möchte», sagt er. Er zog einen Schlussstrich, den Posten des Verwaltungsratspräsidenten bekam sein Cousin Raymond Bär.
Mit seinen Anteilen aus dem Verkauf der Aktien hätte er sich schon mit Mitte 40 zur Ruhe setzen und auf die Pflege teurer Hobbys verlegen können. Das war aber nicht sein Ding. Bär ging ins Ausland, arbeitete in Dubai und Indien – und krempelte sein Leben um. Der Kettenraucher wurde zum Marathonläufer, vier bis fünf Wettkämpfe bestreitet er seither pro Jahr, darunter auch Rennen durch Wüsten oder die Arktis. Einmal pro Jahr begleitet er auch einen blinden Läufer über die 42,2 Kilometer.
Einen langen Atem brauchte Bär auch als Bankgründer. Seit der Jahrtausendwende sind in der Schweiz 135 Institute verschwunden, jedes dritte gab auf. Neue Banken entstanden kaum. Was angesichts der regulatorischen Hürden nicht erstaunt: Neue Banken können nicht einfach loslegen wie andere Firmen, sie müssen erst die ganze Organisation bauen und dann warten, bis die Finanzmarktaufsicht alles prüft und die Lizenz erteilt. Zweieinhalb Jahre dauerte das bei der MBaer Merchant Bank. Zweieinhalb Jahre mit Kosten, aber ohne Einnahmen.
Die Anfänge waren bescheiden. Als Neo-Bankier musste sich Bär auch einmal die Hände schmutzig machen. Beim Umzug in ein neues Büro im Zürcher Seefeld half er mit, Kabel und Teppiche zu verlegen und Glühbirnen reinzuschrauben. Dennoch musste er sich Kritik anhören: Viel zu gross seien die neuen Räumlichkeiten, warnte ihn die Finanzchefin. Auch dass Bär die Seife bei Aesop und nicht in der Migros kaufte, damit die Mitarbeiter die rissige Haut pflegen konnten, trug ihm intern Schelte ein. Die Zeiten waren schwierig. Ein Jahr nach dem Start brach die Pandemie aus. Die Zahlen waren tiefrot.
Alles oder nichts
Doch Bär blieb seinem Credo treu: Nicht den Reichen das Geld aus der Tasche zu ziehen, war das Ziel, sondern Unternehmern zu helfen beim Geldverdienen. Deshalb der Zusatz «Merchant Bank»: eine Bank für Kaufleute. «Alle Banken wollen an die grossen Vermögen gelangen, aber keiner schaut, wie sie zustande kommen», sagt er. Auch seine Bank bietet Vermögensverwaltung an, aber die Spezialität liegt anderswo: beim Firmenkundengeschäft, bei der Begleitung von Finanztransaktionen, dem Cash-Management und der Beratung bei Übernahmen und Verkäufen.
Bär pflegt eine Sicht des Banking, die heute fast schon romantisch wirkt. Wenn ihm ein potenzieller Kunde mit einem Vermögen von 100 Mio. Fr. eine Million zur Verwaltung anbietet, lehnt er ab. «Davon hat niemand etwas. Es macht für den Kunden keinen Unterschied, eine minimal höhere oder tiefere Rendite zu erzielen.» Er will alles oder nichts. «Erst wenn wir einen Überblick über das gesamte Vermögen habe, können wir mit unserer Beratung Mehrwert schaffen.»
Der Banker wird so zum erweiterten Teil der Familie. Er erhält auch Einblick in private Dinge, die grosse wirtschaftliche Auswirkungen haben können, etwa Heiraten, Scheidungen oder Krankheiten. «Das ist untrennbar verknüpft mit dem Geschäftsleben. Wir können mit den Kunden ganz anders reden, wenn wir wissen, was im Privatleben läuft.»
Während sich andere Finanzinstitute ein Wettrennen um die besten digitalen Tools liefern, setzt Bär auf Kundennähe. «Vertiefte Gespräche finden heute kaum mehr statt», kritisiert er. Das fange damit an, dass Kunden erst einmal in einem Callcenter landeten und dort ihr Anliegen vorbringen müssten. «Dabei wollen die Leute ihren Banker doch direkt anrufen können, wenn sie ein Problem haben.»
"Die Leute wollen ihren Banker direkt anrufen können, wenn sie ein Problem haben."
Ist Bär erst einmal mit dem Kunden und seinen Verhältnissen vertraut, bietet seine Bank auch Unterstützung bei Geschäften, die andere ablehnen, weil sie ihnen zu kompliziert und zu aufwendig sind oder weil es dafür kein Handbuch gibt, in dem die einzelnen Schritte beschrieben sind. Hier wird Banking für Bär erst richtig spannend. Doch wie steht es um die Risiken solcher Geschäfte?
Die US-Justiz reagiert ausgesprochen humorlos, wenn sie eine Bank im Verdacht hat, sie ritze die Regeln. Die Schweizer Geldhäuser haben kostspielige Erfahrungen damit gemacht.
«Riskant ist, wenn ich einen Kunden und einen Sachverhalt nicht kenne», entgegnet Bär. Dass die Nähe zum Kunden auch zur Gefahr werden könnte, hält er für eine skurrile Vorstellung, zutreffend sei genau das Gegenteil: «Je mehr wir wissen, desto besser kennen wir die Risiken», sagt er. «So können wir viel besser entscheiden, was wir machen – aber auch, was wir nicht machen.»
Die Lektion von Hans Bär
Den Zeiten von Bankgeheimnis und Schwarzgeld weint Bär keine Träne nach. Die entscheidende Lektion lernte er schon früh. Als ihn die Familienbank einst nach London schickte, um die dortige Niederlassung zu leiten, zitierte ihn sein Onkel, der legendäre Hans Bär, ins Büro. «‹Wenn du einen Brief vom Regulator bekommst›, sagte er mir, ‹dann bist du gefeuert.›» Von Hans Bär stammt auch der Satz, das Bankgeheimnis mache «fett und impotent». Sein Neffe hat die Botschaft verinnerlicht: «Mit dem Regulator hat man keine Probleme. Punkt.»
Mit dem Frontalkurs wider den Zeitgeist trifft der letzte aktive Bär im Schweizer Banking einen Nerv. Drei Jahre nach der Gründung zählt die MBaer Merchant Bank 50 Mitarbeiter und knapp 1000 Kunden, 2022 schrieb sie erstmals schwarze Zahlen. Das Büro im Seefeld wurde bereits wieder zu eng, die Bank residiert in einem repräsentativen Gebäude hinter dem Mythenquai in Zürich Enge. Die Wahl der Seifenmarke ist kein Thema mehr.
Doch noch lasten aufgelaufene Verluste von 17 Mio. Fr. in den Büchern. Marathonläufer Bär lässt keinen Zweifel daran, dass er den Rückstand bald aufholen will. Dass er mit 60 in einem Alter ist, in dem andere Banker längst auf dem Golfplatz sind, spielt keine Rolle. Seine Kollegen in der Chefetage sind alte Haudegen wie er, die es nochmals wissen wollen. «Wir sind so erfolgreich wie nie zuvor und haben erst noch Spass dabei», sagt er.
An eine Nachfolgeregelung denkt er nicht, auch die Gründung einer neuen Bären-Dynastie ist nicht sein Ziel. Wenn sein Sohn einmal in die Bank kommen sollte, würde ihn das zwar freuen, geplant ist es nicht. Dafür sitzt ihm die Erfahrung beim Abschied der Familie bei Julius Bär noch zu tief in den Knochen: «Wenn ich etwas gelernt habe von Familiendynamik, dann dies: Die besten Leute müssen die besten Jobs bekommen. Der Name ist zweitrangig.»
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Quelle: https://magazin.nzz.ch/nzz-am-sonntag/wirtschaft/der-letzte-baer-im-schweizer-bankengeschaeft-ld.1720179, 08.01.2023 | NZZ am Sonntag, Wirtschaft