Seit Februar 2021 ist Francesco Mandalà als Chief Investment Officer für die Anlagepolitik der Zürcher Privatbank MBaer verantwortlich. Zuvor arbeitete der auf Statistik und Financial Engineering spezialisierte promovierte Ökonom bei anderen Schweizer Instituten sowie von 2001 bis 2005 bei der Europäischen Zentralbank.
Herr Mandalà, aus den Vereinigten Staaten treffen widersprüchliche Daten ein. Wie stark ist die US-Wirtschaft – oder wie schwach?
Unsere ökonometrischen Prognosemodelle signalisieren, dass die USA in der ersten Jahreshälfte eine Rezession durchlaufen werden. Die Auswirkungen der monetären Straffung der Zentralbank werden die Wirtschaft erst jetzt auf breiter Front treffen. Bisher belasteten sie fast nur den Immobiliensektor. Andere Sektoren, die vor allem durch den Konsum angetrieben werden und von überschüssigen Ersparnissen profitieren, wurden wenig berührt. Das wird sich nun ändern. Auch werden die Zahlungsausfälle bei Unternehmen und Privathaushalten deutlich zunehmen.
Sie sind also skeptischer als der Konsens.
Ja. Es wird sich nicht um eine leichte Verlangsamung der Wirtschaftstätigkeit handeln, sondern in den USA steht eine tiefe Rezession an.
Wie wird die Notenbank vorgehen?
Das Federal Reserve hat etwas spät auf den Anstieg der Inflation reagiert und erhöhte die Leitzinsen 2022/23 deshalb so kräftig, um ihre Glaubwürdigkeit gegenüber den Märkten, Politikern und Haushalten wiederherzustellen. Im Dezember überraschte Fed-Chef Jerome Powell die Öffentlichkeit, als er umschwenkte und sagte, dass die Zinsen sinken werden. Gemäss Bloomberg rechnet der Marktkonsens mit sechs Leitzinssenkungen in diesem Jahr. Das ist zu viel, drei Zinsschritte nach unten sind realistischer.
Sie vertreten also erneut eine abweichende Meinung.
Entscheidend ist, dass die Zinssenkungen wegen der Rezession in den USA beschlossen werden und nicht, weil die Kerninflation sich dem 2%-Ziel nähert. Dieses Jahr steht das fehlende Wirtschaftswachstum im Vordergrund, nicht mehr die Bekämpfung von Inflation.
Was bedeutet das für den Aktienmarktausblick?
Wir sind in Aktien sehr zurückhaltend positioniert. In einem ausgewogenen Portfolio machen sie etwa 30% aus, Anleihen überwiegen deutlich. Wir glauben, dass die Anleihenrenditen wegen der erwarteten Rezession, der immer noch nicht erreichten Preisstabilität und angesichts der nur langsam sinkenden Leitzinsen hoch bleiben werden.
Wie gehen Sie bei Aktien vor?
Wir bevorzugen Titel mit geringer Volatilität und hohem Value. US-Aktien sind im internationalen Vergleich sehr teuer bewertet, daher bevorzugen wir Europa und Schwellenländer. Der Schwerpunkt liegt bei defensiven Sektoren. Von Tech-Werten und zyklischen Branchen halten wir uns fern.
In den USA herrscht Wahlkampf. Wie soll man sich als Investor darauf vorbereiten, dass Donald Trump erneut Präsident werden könnte?
2016, als ich sowohl bei der US-Wahl als auch beim Brexit-Referendum falschlag und der Markt darüber hinaus anders als erwartet reagierte, hat mich eine Lektion gelernt: Es lohnt sich nicht, auf einen politischen Ausgang zu wetten. Dieser Wahlkampf wird sehr laut und unangenehm sein. Wir wissen, dass Donald Trump für Steuersenkungen ist, Aktien sollten davon profitieren. Aber die wirtschaftliche Ausgangslage hat sich gegenüber 2016 geändert. Damals lag das Verhältnis der Staatsschulden zum BIP bei etwa 70%, heute sind es mehr als 100%. Wie kann man da Steuersenkungen umsetzen? Vielleicht mit mehr Zöllen, aber wenn die Zölle steigen, ist das schlecht für Aktien.
Wo steht Europa im internationalen Konjunkturzyklus?
Die Lage ist auch in Europa alles andere als rosig. Deutschland befindet sich in einer Rezession. Im Vergleich zu den USA ist die Situation im Euroraum fragmentierter. Europäische Unternehmen sind zudem unterbewertet und bieten daher die Chance für eine Outperformance bis zum Jahresende.
«Es fällt derzeit schwer, Aktien überzugewichten, wenn bei risikofreien langfristigen Zinsen ein konstanter Einkommensstrom ansteht, der gleich hoch ist wie die volatilere Aktienrendite.»
Wie wichtig ist das Zinsniveau für Aktien?
Die Zinsen sind extrem wichtig. Es lohnt sich, sowohl auf den kurzfristigen Teil als auch den langfristigen Teil der Zinskurve zu schauen. Wenn die kurzfristigen Sätze fallen, die die Politik der Zentralbanken spiegeln, hat das vor allem eine Signalwirkung. Denn wenn die Zinsen gesenkt werden, weil die Zentralbanken glauben, dass es zu einer Rezession kommen wird, ist das schlecht für die Aktien. Auch die Langfristzinsen sind relevant. Zehnjährige US-Schatzanleihen rentieren derzeit etwa 4%. Das ist gleich viel wie die durchschnittliche Aktienrendite, was in den vergangenen zwei Jahrzehnten nur selten der Fall war. Es fällt derzeit schwer, Aktien überzugewichten, wenn bei risikofreien langfristigen Zinsen ein konstanter Einkommensstrom ansteht, der gleich hoch ist wie die volatilere Aktienrendite. Anleihen schlagen Aktien also nicht nur unter Bewertungsgesichtspunkten, sondern auch in der Vermögensallokation.
Gilt das nur für die USA?
Das gilt auch für den Euroraum, wobei natürlich jedes Land eine spezifische Zinskurve aufweist. Deutschland profitiert von einem hohen Rating. In Italien muss die Kreditkomponente aus der italienischen Kurve herausgelöst werden, um ein saubereres Zeichen für die Preisbildung zu erhalten. Aber auch unter dieser Betrachtung bieten italienische Anleihen immer noch Wert.
Wie sieht es mit japanischen Aktien aus, nachdem der Nikkei auf ein Rekordniveau geklettert ist?
Seit Beginn des Jahres sind japanische Aktien 9% gestiegen und haben damit wohl das Potenzial ausgereizt. Falls die Notenbank dieses Jahr die Leitzinsen nach langem in den positiven Bereich erhöht, dürfte sich das negativ auf die Aktienkurse auswirken.
Erleben wir 2024 ein Comeback Chinas?
Das ist unwahrscheinlich. Die Folgen der Überinvestitionen, die Anfälligkeit des Immobiliensektors und die Kontrolle der Wirtschaft durch die politische Führung behindern das strukturelle Wachstum der Wirtschaft. Die Arbeitslosenquote, insbesondere unter Jugendlichen, ist in den Städten in die Höhe geschnellt. Und was am wichtigsten ist: Die Verbraucherstimmung befindet sich im Tiefpunkt. Deshalb sind wir in China stark untergewichtet.
Sollten Investoren dagegen auf Indien setzen?
Der indische Aktienmarkt dürfte in diesem Jahr eine überdurchschnittliche Performance aufweisen. Zwar stehen Wahlen an und wird Vishnu Modi, der eher wieder auf seine hinduistischen Wählerstimmen setzt, wohl als Premierminister bestätigt werden. Die Gefahr besteht, dass sich das Land politisch-religiös spaltet, was das langfristige Wachstum belasten würde. Aber schon mit Blick auf die Demografie ist Indien sehr positiv positioniert. Es hat eine grosse junge Generation. Der Hochtechnologiesektor entwickelt sich und ist wettbewerbsfähig.
«Der indische Aktienmarkt dürfte in diesem Jahr eine überdurchschnittliche Performance aufweisen.»
Welche Vorkehrungen im Portefeuille sollten mit Blick auf die Krise im Nahen Osten beschlossen werden?
Gold und Rohstoffe helfen als Beimischung – vor allem, um sich gegen eine erhöhte Inflation abzusichern. Aber was die sicherheitspolitische Gefahr im Nahen Osten betrifft, hat sich Öl beispielsweise nicht als natürliche Absicherungsvariante erwiesen. Nach dem Angriff der Hamas im Oktober stieg der Ölpreis nur kurze Zeit und ist dann gefallen, obwohl die Ereignisse eskalierten.
«Am lohnendsten sind Anleihen mit sieben bis acht Jahren Laufzeit und dem Prädikat Anlagequalität.»
Vielleicht lohnt es sich, Franken zu kaufen?
Der Franken ist definitiv eine beliebte Absicherung gegen geopolitische Risiken. Offen ist, wie sich die Nationalbank verhält. Es ist davon auszugehen, dass sie bis vergangenen November Euro und Dollar verkauft und damit aktiv zur Aufwertung der Schweizer Währung beigetragen hat. Im laufenden Jahr ist der Wert des Frankens aber wieder gesunken. Trotzdem spricht alles für einen anhaltend starken Franken. Die Inflation in der Schweiz ist unter Kontrolle, die Arbeitslosenquote beträgt niedrige 2,2%.
Können Sie sich vorstellen, dass die Nationalbank die Zinsen vor der EZB und dem Fed senkt?
Das ist unwahrscheinlich. Dann würde sich die Differenz zwischen den Zinsen im Euroraum und der Schweiz vergrössern. Sobald sie nicht mehr innerhalb der üblichen historischen Spanne gehalten wird, wertet sich der Franken ab, worauf Inflation in die Schweiz importiert wird. Und das wird die Nationalbank nicht akzeptieren.
Welche Anleihen empfehlen Sie?
Am lohnendsten sind Anleihen mit sieben bis acht Jahren Laufzeit und dem Prädikat Anlagequalität, Investment Grade, also Bonds von Unternehmen mit soliden Bilanzen, bei denen das Ausfallrisiko extrem niedrig ist. Diese Anleihen bieten eine interessante Rendite im Vergleich zu Staatsanleihen, vor allem US-Papiere. Auch Hochzinsanleihen mit einer kurzen Restlaufzeit können interessant sein. Einige Schweizer Anleihen der grossen Blue Chips rücken ebenfalls ins Blickfeld. Und wir empfehlen Staatsanleihen von Schwellenländern wie Brasilien in lokaler Währung. Sie profitieren von den Erträgen, die sie regelmässig einbringen, sowie von der Abwertung des Dollars.
Sollten Anlagen in Fremdwährung gegen das Wechselkursrisiko abgesichert werden?
Ja, das empfehle ich. Wir sichern unsere Portfolios immer ab. Das sieht auf den ersten Blick zwar teuer aus, hat aber den Vorteil, dass das Portfolio eindeutig in die von uns gewünschte Richtung gelenkt wird. Wechselkursrisiken, die wir nicht kontrollieren können, fallen weg.