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Niedriger Gasdruck: Gibt es Licht am Ende der Pipeline?

Europas Gas- und Stromsorgen haben in letzter Zeit nachgelassen, was auf eine glückliche Kombination aus einem milden Winter und einer geringeren Energienachfrage zurückzuführen ist. Das ist eine gute Nachricht. Aber die aktuellen Gaspreise sind nicht niedrig, und die Gasversorgung Europas ist nach wie vor anfällig. Erhöhte Energiepreise tragen erheblich zur Inflation bei und sind zumindest in diesem Jahr eine grosse Belastung für das europäische Wachstum. 

Die weltweiten Gaspreise befinden sich seit zwei Jahren auf einer Achterbahnfahrt, lange vor dem Einmarsch Russlands in der Ukraine im Februar 2022. Die europäische Gaspreis- Benchmark lag im Januar 2021 bei etwa 17 € und stieg im Dezember auf über 130 €, um das Jahr mit 65 € zu beenden. Der Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 trieb den Preis etwas in die Höhe, aber erst im Juli letzten Jahres erreichte der Preis 180 €, bevor er im August buchstäblich explodierte, als er auf 342 € anstieg. Danach begannen die Gaspreise zu sinken und erreichten schliesslich das aktuelle Niveau von 55 € (siehe Chart 1).

Chart 1: Europäische Gaspreise - TTF-Erdgas-Futures (€/MWh).

Chart_1

Quelle: Bloomberg, mBaer Berechnungen. Niederländische Title Transfer Facility (TTF)-Erdgas-Futures, in Euro pro Megawattstunde (€/MWh)

Kleine Veränderungen im Angebot haben grosse Auswirkungen auf die Gaspreise in der EU. Der Gashandel findet auf wettbewerbsorientierten Märkten statt und spiegelt die fragmentierte Struktur der Gasversorgungskette wider. Seit letztem Jahr sind die neuen Massnahmen der EU und der einzelnen Länder wie Preisobergrenzen, Subventionen und Einfuhrverbote in die Preise eingeflossen.

Die Erdgasmärkte sind auf globaler Ebene fragmentiert. Sie stützen sich hauptsächlich auf Pipelineinfrastrukturen, die keine Arbitrage zwischen den Regionen ermöglichen. Als Russland seine Gaslieferungen einstellte, sah Europa Flüssigerdgas (LNG) als primäre Ersatzoption an, aber

Engpässe und Überlastungen an nordeuropäischen LNG- Terminals trieben die Gaspreise im letzten Sommer in die Höhe.

Diese hohen Preise haben wiederum die Gasnachfrage in ganz Europa gedämpft. Nach Angaben von Eurostat sank der Gasverbrauch in der EU zwischen August und November 2022 um etwa 20 % im Vergleich zum Durchschnitt der letzten fünf Jahre. Schliesslich führte der viertwärmste Winter seit Beginn der Aufzeichnungen in Nordwesteuropa zu einem Rückgang der Gasnachfrage für Heizzwecke und zum jüngsten Rückgang der Gaspreise, die derzeit bei etwa 55 € liegen. Wichtig ist, dass die hohen und volatilen Marktpreise letztendlich zu einer effizienteren Nutzung von Strom und zum Ausbau der erneuerbaren Energien führen werden. Staatliche Eingriffe zur Senkung des Niveaus und der Volatilität der Gaspreise sind nicht nur unwirksam, sondern auch schädlich.

Wer nicht plant, plant zu scheitern

Der Konflikt in der Ukraine machte die Abhängigkeit Europas von der russischen Energieversorgung deutlich. Die europäischen Regierungen mussten eingreifen und Notmassnahmen ergreifen, um alternative Energiequellen zu sichern und zu verhindern, dass die hohen Energiepreise ihre Volkswirtschaften schädigen. Der Ersatz russischer Gaskapazitäten kommt den Steuerzahler jedoch exorbitant teuer zu stehen. Diese Massnahmen verändern auch die Landschaft der globalen Energiemärkte.

Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge haben die europäischen Regierungen neue Erdgasverträge abgeschlossen, sich zu neuen Investitionen in die Gasinfrastruktur verpflichtet, den Kohleverbrauch erhöht, eine freiwillige Reduzierung der Gasnachfrage durchgesetzt, ein Verbot von Brennstoffimporten aus Russland eingeführt, Obergrenzen für die Öl- und Gaspreise festgelegt und Windfall-Profite von Energieversorgern kassiert.

Infolgedessen sind die europäischen Gasreserven derzeit zu etwa 80 % ausgelastet und dürften bis zum Ende des Winters zu mehr als 50 % gefüllt sein, wenn man einen einfachen Vergleich mit den Speicherständen für 2020 anstellt.

Die EU-Regierungen haben ausserdem rund 600 Mrd. € an Subventionen, Steuererleichterungen und anderen steuerlichen Massnahmen ausgegeben oder vorgesehen, um Verbraucher und Unternehmen vor den steigenden Energiekosten zu schützen. Allein Deutschland hat 264 Mrd. € bereitgestellt. Entscheidend ist, dass nach Schätzungen der EU-Kommission etwa 70 % dieser Massnahmen nicht zielgerichtet sind, da sie allen oder einem sehr grossen Teil der Bevölkerung zugutekommen.

Diese massiven finanzpolitischen Massnahmen sind besorgniserregend. Erstens werden nicht zielgerichtete Preismassnahmen den Gaspreis senken, und das zu einer

Zeit, in der Europa den Verbrauch senken und LNG- Lieferanten anlocken muss. Zweitens werden die Unternehmen, die mit zusätzlicher Unsicherheit über die Höhe der Gaspreise konfrontiert sind, ihre Investitionen wahrscheinlich aufschieben. Drittens könnte die Grosszügigkeit der Regierungen zu weiterem Inflationsdruck führen und die EZB schliesslich dazu zwingen, ihre Politik noch stärker zu straffen. Vor allem aber werden höhere Zinssätze unweigerlich zu einer höheren Schuldenlast und einem geringeren Wachstum führen.

Die Energiekrise ist noch lange nicht vorbei. Europa befindet

sich auf einem kostspieligen und langwierigen Weg zur Abkehr von russischer Energie. Die Massnahmen der EU und die Marktinterventionen waren bisher erfolgreich, bergen aber die Gefahr, dass sie dem Wachstum in Europa langfristig schaden.

Der Winter könnte noch kommen.

Francesco Mandalà,
PhD Chief Investment Officer