Die globale Erwärmung hat bereits erhebliche Auswirkungen auf das Auftreten von Schnee gehabt. Die Schnee- und Gletscherschmelze ist weitgehend für das Füllen der natürlichen Wassertürme der Welt verantwortlich. Das System wird vielfältig und intensiv genutzt. Aber wird das so bleiben?
Schnee hat ungeheure Kräfte. Als Kinder erlebten wir, dass Schnee Schulen schliessen kann, und als Erwachsene verwandeln wir uns wie von Zauberhand in gut gekleidete Kinder, die in den Bergen Wintersport treiben. Im Frühjahr und Sommer schmilzt die Schneedecke in den Bergen und gibt langsam Wasser in Bäche, Flüsse und Seen ab, die eine lebenswichtige Wasserressource für die Regionen unterhalb und in der Nähe der Berge darstellen.
Für diejenigen, die das Glück hatten, Schneeflocken aus der Nähe zu betrachten – man schätzt, dass die Hälfte der Weltbevölkerung noch nie Schnee gesehen hat -, erinnert die sechseckige Form jeder Schneeflocke an die subtilen Geheimnisse der Natur. Immer wieder widmeten sich Wissenschaftler der Erforschung von Schneeflocken oder Schneekristallen, sodass heutzutage Schnee in jeder Form und Grösse im Labor hergestellt werden kann.
In den 1930er-Jahren züchtete der japanische Atomphysiker Koichiro Nakaya in seinem Kältelabor Schneekristalle bei unterschiedlichen Temperaturen und Feuchtigkeitsgraden und beobachtete die verschiedenen Formen, die im Diagramm der Schneekristallmorphologie, auch bekannt als Nakaya-Diagramm, dargestellt sind (Abbildung 1). Das Diagramm zeigt, dass grosse dünne Platten, schlanke Nadeln und schöne stellare Dendriten bei unterschiedlichen Temperaturen wachsen und mit steigender Luftfeuchtigkeit von einfacheren zu komplexeren Formen übergehen.
Ken Libbrecht, Astrophysiker am Caltech, verfolgte sogar eine grosse einheitliche Theorie über die Entstehung von Schneeflocken und begann, Schneeflocken in einer Art selbst erfundenen kalten Öfen zu backen, wobei er die Form der Schneeflocken durch Änderung von Temperatur und Luftfeuchtigkeit während ihrer Entstehung kontrollierte. Eine von Prof. Libbrechts Errungenschaften besteht darin, dass er identische Schneeflocken geschaffen hat und damit das alte Sprichwort, dass «keine zwei Schneeflocken gleich sind», widerlegte. Über den Bereich der theoretischen Physik hinaus hat die Kenntnis der Struktur von Schneeflocken praktische Auswirkungen auf die Genauigkeit von Schneefallmessungen und Winterwettervorhersagen. Letztlich ist die Wissenschaft daran interessiert zu messen, wie sich die Menge, der Zeitpunkt und die Dauer der Schneedecke auf die Verfügbarkeit von Wasser, für die in den Bergen oder direkt flussabwärts lebenden Menschen auswirkt.
Whiskey ist zum Trinken da. Wasser ist zum Kämpfen da. (M. Twain)
Die weissen Schneekappen der Berge sind wie ein riesiges Reservoir im Gebirge. Wissenschaftler bezeichnen Berge und Hochländer oft als natürliche «Wassertürme», weil sie das Flachland mit lebenswichtigem Süsswasser für die Bewässerung und Nahrungsmittelproduktion, die industrielle Nutzung und den häuslichen Bedarf der Stadtbevölkerung versorgen.
In einer kürzlich in der Fachzeitschrift «Nature» veröffentlichten Studie hat ein Team von Wissenschaftlern die Bedeutung der 78 wichtigsten Wassertürme auf der Grundlage ausgeklügelter Messungen von Wasserangebot und -nachfrage bewertet und eingestuft. Der Studie zufolge leben fast 1,9 Milliarden Menschen, etwa ein Viertel der Weltbevölkerung, in oder direkt flussabwärts von diesen kritischen Bergen. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass das asiatische Indus-Becken – das von den Gebirgszügen des Himalajas, Karakorum, Hindukusch und Ladakh gespeist wird – mit mehr als 200 Millionen Menschen in Teilen Afghanistans, Chinas, Indiens und Pakistans der wichtigste Wasserspeicher auf dem Planeten ist (Abbildung 2). Die anderen Wasserturmsysteme sind die südlichen Anden in Südamerika, die Rocky Mountains in den USA und die europäischen Alpen.
Die Forscher stellen fest, dass das Indus-Becken unter den 78 globalen Wassertürmen auch die Region ist, die am anfälligsten für politische Spannungen und künftige sozioökonomische und klimatische Veränderungen ist. Dies erklärt sich durch die prognostizierte steigende Nachfrage nach Süsswasser und Probleme bei der Wasserversorgung, da der Klimawandel die derzeit ausgewogene Mischung aus Niederschlägen, Gletschern, Schnee und Oberflächengewässern in der Region negativ beeinflusst. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die (wasser-)politischen Spannungen zwischen Pakistan, Indien, China und Afghanistan in Zukunft wahrscheinlich zunehmen werden, was zu einer Destabilisierung der gesamten Indus-Region führen könnte.
Klimaforscher und Meteorologen haben davor gewarnt, dass die weltweite Erwärmung die Hauptursache für das Verschwinden der weissen Schneekappen ist. Da es sich bei Schnee um Wasser in einer verborgenen Form handelt, ist er hauptsächlich dann nützlich, wenn er schmilzt und Seen und Flüsse auffüllt. So schön ein paar im Labor erzeugte Schneeflocken auch sein mögen, sie werden nicht ausreichen, um die politische und soziale Stabilität in den Regionen zu erhalten, die näher an den natürlichen Wassertürmen der Welt liegen, wenn der Schnee von den Bergen verschwindet.